Polyneuropathie – Wenn die Nerven leiden
- Elisabeth Geist
- 15. Apr.
- 3 Min. Lesezeit

Polyneuropathie, oft auch als "Periphere Polyneuropathie" oder "Periphere Neuropathie" (PNP) bezeichnet, ist eine Erkrankung des peripheren Nervensystems, bei der mehrere Nerven geschädigt sind. Das können zum Beispiel Nerven in den Armen und Beinen sein oder solche, die innere Organe versorgen. Die Reizweiterleitung in den Nervenbahnen ist geschädigt, was in Missempfindungen, Sensibilitätsstörungen oder auch Schmerzen mündet.
Häufigste Ursachen
Diabetes mellitus (ca. 30–40 %)
Alkoholmissbrauch
Vitaminmangel (v. a. B1, B6, B12)
Chronische Niereninsuffizienz (Urämie)
Erblich bedingte Neuropathien (z. B. Charcot-Marie-Tooth, ca. 5 %)
Infektionen (HIV, Borreliose)
Autoimmunformen (z. B. Guillain-Barré-Syndrom, CIDP)
Medikamenteninduzierte Formen (z. B. Chemotherapeutika) -
Polyneuropathie als Folge einer Krebstherapie – insbesondere durch Chemotherapie, seltener auch durch Strahlentherapie oder zielgerichtete Therapien – ist eine häufige und belastende Nebenwirkung. Man spricht dann von einer chemotherapieinduzierten peripheren Neuropathie (CIPN).
Typische auslösende Medikamente
Platinverbindungen: z. B. Cisplatin, Oxaliplatin
Taxane: Paclitaxel, Docetaxel
Vinca-Alkaloide: Vincristin
Bortezomib: bei Multiplem Myelom
Thalidomid / Lenalidomid
Welche Beschwerden können auftreten?
Kribbeln, Taubheit oder Brennen (v. a. an Händen und Füßen)
Schmerzen entlang der Nervenbahnen
Gangunsicherheit, Stolpern
Feinmotorik-Störungen
In schweren Fällen: Muskelschwäche oder autonome Störungen
Wann treten die Symptome auf?
Oft während der Chemotherapie
Manchmal erst Wochen oder Monate danach
Symptome können sich nach Therapieende noch verschlimmern ("coasting")
Welcher Teil der Nervenzellen wird geschädigt?
Jede Nervenzelle setzt sich aus einem Zellkörper und einem Nervenfortsatz (Axon) zusammen.
Axone sind wie elektrisch leitende Kabel. Der Körper muss sie für die optimale elektrische Reiz- oder Signalweiterleitung mit einer Isolierschicht ummanteln. Diese nennt sich Myelinschicht oder Markscheide.
Die Schädigung hängt von der Ursache und der Form der Erkrankung ab. Grundsätzlich unterscheidet man zwei Haupttypen:
1. Axonale Polyneuropathie
Schädigung des Axons (der Nervenzellfortsatz, der Signale weiterleitet) - Häufigste Form der Polyneuropathie
Betrifft oft lange Nerven zuerst (z. B. Füße, dann Hände → „socken- und handschuhförmige“ Symptome)
Typische Ursachen: Diabetes mellitus (diabetische Neuropathie), Alkoholmissbrauch (alkoholische Polyneuropathie), Vitaminmangel, Toxine (toxische Polyneuropathie), Chemotherapie
2. Demyelinisierende Polyneuropathie
Schädigung der Myelinscheide (die Schutz- und Isolierschicht des Nervs) - Bei dieser Neuropathieform zerfällt die schützende Myelinschicht.
Führt zu einer langsameren Reizweiterleitung
Typische Symptome: Muskelschwäche, Reflexverlust
Typische Ursachen: Autoimmunerkrankungen (z. B. Guillain-Barré-Syndrom, CIDP), Infektionen
Beide Formen zeigen charakteristische Veränderungen in der elektroneurographischen Untersuchung (ENG).
3. Gemischte Form
Axon und Myelinscheide sind beide betroffen
Oft bei chronischen Verläufen oder Mischformen (z. B. bei schweren Stoffwechselerkrankungen oder langjährigem Diabetes).
Auswirkungen
Bei axonaler Schädigung: Sensibilitätsstörungen, Kribbeln, Schmerzen, Muskelschwäche
Bei demyelinisierender Schädigung: Starke Muskelschwäche, verlangsamte Reflexe, motorische Ausfälle
Diagnostik
Anamnese und klinische Untersuchung
Elektroneurographie (ENG), Elektromyographie (EMG) → Differenzierung axonal vs. demyelinisierend
Labor: Blutzucker, Vitamin B12, Nierenwerte, Leberwerte, Entzündungsparameter
Liquor-Untersuchung (v. a. bei GBS, CIDP)
Biopsie: Nur in Sonderfällen (z. B. Vaskulitiden)
Therapiemöglichkeiten
Die Therapie richtet sich nach der Ursache.
Falls möglich, sollte die Grunderkrankung behandelt werden, beispielsweise durch eine gute Blutzuckereinstellung bei Diabetes. Spezielle Medikamente oder Antidepressiva können gegen Nervenschmerzen helfen. Physiotherapie und Ergotherapie unterstützen die Beweglichkeit und stärken die Muskulatur. Auch alternative Ansätze können Erleichterung bringen.
Prognose (abhängig von der Ursache)
Reversible Formen: gut bis sehr gut, wenn die Ursache früh erkannt und behandelt wird. In vielen Fällen ist sogar eine vollständige Rückbildung der Symptome möglich. z. B. Vitaminmangel, akute toxische Schädigung
Chronische Verläufe: Oft progredient, aber stabilisierbar bzw. verlangsambar.
GBS (Guillain-Barré-Syndrom):
80-90 % erholen sich teilweise bis vollständig innerhalb von 6–12 Monaten.
20–30 % haben dauerhafte neurologische Einschränkungen, meist in Form von Muskelschwäche oder Gangunsicherheit.
5–10 % der Patienten bleiben schwer behindert.
Leben mit der Krankheit
Das Leben mit Polyneuropathie kann herausfordernd sein, aber mit der richtigen Strategie lässt sich der Alltag oft gut bewältigen:
Bewegung ist essenziell, um die Muskulatur zu erhalten und die Durchblutung zu fördern. Sanfte Sportarten wie Schwimmen, Radfahren oder gezielte Physiotherapieübungen helfen, die Mobilität zu erhalten und Stürzen vorzubeugen.
Schmerzmanagement spielt eine zentrale Rolle. Medikamente wie Gabapentin oder Pregabalin können helfen, doch auch alternative Methoden wie Akupunktur, TENS-Therapie oder Wärmeanwendungen bringen oft Linderung. Entspannungstechniken wie Yoga oder Meditation können ebenfalls hilfreich sein, da Stress die Symptome verstärken kann.
Der Alltag erfordert oft Anpassungen. Spezielle Schuhe mit guter Polsterung schützen die Füße, und rutschfeste Teppiche oder Haltegriffe in der Wohnung minimieren das Sturzrisiko. Falls die Hände betroffen sind, können ergonomische Hilfsmittel, zum Beispiel spezielle Bestecke oder Greifhilfen, Erleichterung bringen.
Ernährung spielt ebenfalls eine Rolle. Eine ausgewogene Kost mit ausreichend Vitaminen, insbesondere B-Vitaminen, unterstützt die Nervengesundheit. Alkohol sollte gemieden werden, da er die Nervenschäden verstärken kann.
Psychisch kann die Erkrankung belastend sein. Der Austausch mit anderen Betroffenen, etwa in Selbsthilfegruppen, kann helfen, mit den Herausforderungen umzugehen. Auch psychologische Unterstützung oder Schmerztherapieprogramme können sinnvoll sein, um besser mit
den Symptomen und Einschränkungen zu leben.
Anlaufstellen in Österreich
FachärztInnen für Neurologie oder Schmerztherapie sind erste Ansprech-PartnerInnen für Diagnose und Behandlung
Krankenhäuser mit neurologischen Abteilungen
spezialisierte Rehabilitationszentren und
Selbsthilfegruppen wie die Österreichische Neurologische Gesellschaft oder die Polyneuropathie-Selbsthilfe bieten Unterstützung und Austauschmöglichkeiten.
Fazit
Polyneuropathie ist eine heterogene, oft chronische Erkrankung mit vielschichtigen Ursachen. Evidenzbasierte Diagnostik und Therapie ermöglichen eine gezielte Behandlung und Verbesserung der Lebensqualität. Früherkennung und Ursachenbehandlung sind entscheidend für die Prognose.
Wichtig ist, dass Sie umgehend eine Ärztin bzw. einen Arzt aufsuchen, wenn Sie mögliche Polyneuropathie-Symptome an sich bemerken!
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